Vom Werbefachmann zum "Turmkraxler"

Dem zunächst geplanten Studium der Elektrotechnik standen die Schulnoten und das Interesse im Weg, also entschied sich Ulrich Sukup für Medienpsychologie und startete seine Karriere als Werber bei einer großen Agentur. Warum ihm dabei der „Sinn des Lebens“ fehlte, und wie er in luftiger Höhe auf dem Vierungsturm der Wiener Votivkirche landete, um Reinigungsarbeiten durchzuführen – ein spannender Weg.

Kehren statt rauchen

Eigentlich war der Impuls lange schon gesetzt, bevor Ulrich Sukup seinen Traumberuf ergriff. „Turmspenglerei“, sagte sein Vater bereits recht früh, „das musst du machen.“ Wohlgemerkt zu einer Zeit, als Industrieklettern noch in den Kinderschuhen steckte und solche Arbeiten nur einer kleinen Gruppe Osttiroler „Kirchturmkraxler“, wie der Beruf im Dialekt bis heute gerne genannt wird, vorbehalten war. So kam es, dass Sukup nach seinem Studium der Medienpsychologie zunächst einmal Werbung machte, bei einer großen Agentur, für Tabakwaren.

„Das war schon komisch, als Nichtraucher Ideen für Zigarettenwerbung zu entwickeln.“ Das ging einige Zeit gut, doch richtig angekommen ist Ulrich Sukup in dieser Welt nie. Mit Ende 20 stand er eines Tages in der Kaffeeküche, wieder mit diesem suchenden Gefühl im Bauch, und entdeckte vor dem Fenster einen Straßenkehrer. „Der macht sinnvolle Arbeit, habe ich mir gedacht, und damit war der Entschluss gefasst, etwas zu ändern.“

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Mit Kopf und Hand

Ein Zufall begünstigte die weitere Entwicklung, denn der Vater seiner damaligen Freundin – inzwischen sein Schwiegervater – hatte eine Spenglerei. Dort machte Sukup innerhalb eines Jahres die Ausbildung zum Spenglergesellen und schloss ein Jahr danach den Meister an. „Generell ist das Handwerk heute oft nicht mehr mit der früheren Handwerkskunst vergleichbar, aber mein Anspruch ist es, Kopf- und Handarbeit zu vereinen. Nur auf diese Weise nutzen wir unser ganzesPotenzial.“

Mit seiner Ausbildung im Gepäck, stieg Sukup in den Familienbetrieb ein und konzentrierte sich auf die schwierigsten Kunden und Projekte. Das dafür nötige Einfühlungsvermögen und den Weitblick machte die Arbeit für ihn so spannend. „Irgendwann kam mir wieder die Aussage meines Vaters in den Sinn, was die Kirchturmspenglerei angeht – zusätzlich bestärkt dadurch, dass Klettern meine große private Leidenschaft ist.“ Beim alpinen Klettern, beispielsweise auf der Dachl-Nordwand-Tour, braucht es laut Sukup vor allem eines: eine gute Moral. „Das ist ähnlich wie am Kirchturm. Bei jedem einzelnen Schritt musst Du die Konsequenzen durchdenken, es gibt keinen Standard – da darf man sich nicht verunsichern lassen.“

Langer Atem und luftige Höhen

Der Weg zu Großaufträgen in der Denkmalpflege war allerdings kein leichter, denn gerüstloses Arbeiten war zu dieser Zeit in Österreich nicht etabliert. Ausdauer und Zuversicht sind zwei Eigenschaften, die Ulrich Sukup unterwegs geholfen haben. Nach vielen Gesprächen mit dem Bauamt der Erzdiözese Wien hatte endlich einer der Techniker, die dort arbeiteten, ein Erbarmen. „Angefangen hat es mit kleinen Projekten, den Anstrich auf einem Pfarrhof ausbessern und solche Dinge“, erinnert sich Sukup.

Doch eines Tages kam ein Anruf, der den Weg in die Zukunft wies. „Sturmschäden waren an einer Kirche zu beheben, und die Aufwände für Kranmiete und Verkehrsmaßnahmen wären in die 100.000 Euro gegangen. Als man mich fragte, ob ich das nicht anders lösen könnte, sagte ich: Ja, kann ich.“ Der Respekt vor der Aufgabe war ebenso da wie ein recht hoher Zeitdruck, und natürlich der eigene Anspruch, dass in diesem Moment kein Fehler passieren durfte. „Das Projekt haben wir erfolgreich abgeschlossen.“

Im Jahr 2014 erfolgte der Durchbruch, als es darum ging, einen Kirchturm zu verblechen. Ein bekannter Osttiroler Spengler lehnte ab, weil die Aufgabe aus seiner Sicht zu exponiert erschien. „Ich habe gesagt, wir können das – und hinterher gedacht: Was habe ich gesagt?“, schmunzelt Sukup. Doch der Mut hat sich gelohnt, denn seither sind anspruchsvolle Reinigungs- und Restaurierungsaufträge in luftigen Höhen genau das, wofür der ehemalige Werbefachmann und heutige Turmkraxler steht.

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Mit Trockeneis Geschichte bewahren

Aus diesem Grund wurde Sukup mit den Arbeiten am Vierungsturm der Wiener Votivkirche beauftragt. 2016 bestieg er den Turm zum ersten Mal, um eine Befundung der Schäden durchzuführen und präzise zu dokumentieren. Auf dieser Basis ließ sich feststellen, wie eine umfassende Schadensbehebung aussehen musste. „Am Vierungsturm haben wir es mit weichem Blei zu tun, das ist zum einen wirklich anspruchsvoll zum Klettern“, berichtet Sukup. „Zum anderen war uns wichtig, das Erscheinungsbild zu erhalten: Der Turm oberhalb des Kreuzungspunktes zwischen Quer- und Längsschiff hat unterschiedliche Patinaschichten, je nach Windrichtung weißlich-gräulich oder schwarz. Einzelne Elemente auszutauschen, hätte einen Fleckerlteppich aus dem Dach gemacht.“

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Auf der Suche nach einer geeigneten Reinigungstechnik kam Sukup zugute, dass er regelmäßig mit einem Mitarbeiter von Kärcher Österreich zum Laufen ging. Zunächst dachten die beiden über einen Hochdruckreiniger nach, doch damit waren sie nicht zufrieden. „Der gute Mann hat sich wirklich intensiv mit unserem Anliegen befasst und Kärcher für eine Unterstützung des Projekts gewonnen, so dass wir schließlich Tests mit Trockeneis machen konnten – das hat die Erzdiözese überzeugt.“

Um die benötigte Ausrüstung auf den Turm zu transportieren, baute Sukup eine Seilbahn, und begann mit der Reinigung. Behutsam entfernten Trockeneispellets dank ihrer hohen Geschwindigkeit und Temperatur (-79 °C) die schwarze Patina auf der Eindeckung des Vierungsturms, ohne diegraue Grundpatina und damit die Schutzschicht des Bleies zu beschädigen.

Geheimnisse am Vierungsturm

Bei den Arbeiten am Vierungsturm offenbarte der Sakralbau auch das ein oder andere, bis dahin gut verborgene Geheimnis – selbst geschichtliche Fakten waren darunter. „Bisher dachte man, das Gewölbe des Kirchenschiffs sei 1872 aufgesetzt worden. Unter den Patinaschichten auf dem Dach des Turms kamen aber Inschriften zutage, die darauf hindeuten, dass erste Platten des Dachstuhls bereits zu dieser Zeit verlegt waren. Somit müssen auch der gesamte Dachstuhl und das Turmskelett fertig gewesen sein.“ Außerdem fand Sukup beispielsweise die Namen von Arbeitern, die im Lauf der Zeit Restaurierungs- und Reinigungsarbeiten durchgeführt und sich dann verewigt haben.

„Historische Gebäude erzählen unendlich viele Geschichten“, beschreibt Sukup die Faszination seines Tuns. „Man kann sogar Rückschlüsse darauf ziehen, dass die Luftverschmutzung in einer Stadt wie Wien durch den vielen Ruß früher deutlich höher war als heute – die Vergoldung wurde bereits dreizehn Jahre nach Fertigstellung gereinigt, das ist heute kaum noch notwendig.“ Es fällt nicht schwer nachzuvollziehen, dass Sukup in seiner Arbeit vollkommen aufgeht und sich ihr mit jeder Faser seines Herzens widmet. „Wenn ich an solchen Bauwerken arbeite, spüre ich die Leidenschaft und das Herzblut, das andere Handwerker über die Jahrzehnte hineingegeben haben – das ist ein einzigartiges Gefühl.“

Die Wiener Votivkirche

Die Wiener Votivkirche gilt als eines der bedeutendsten neogotischen Sakralbauwerke der Welt. Der Kirchenbau wurde 1854 in einem Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Aus 75 eingereichten Vorschlägen aus der Donaumonarchie, Deutschland, England und Frankreich wurde das Projekt des Architekten Heinrich Ferstel ausgewählt. Nach einer Bauzeit von 23 Jahren (1856-1879) wurde die Kirche eingeweiht. Bei der Sanierung 2016-2018 führt die Bauspenglerei Sukup-Grötzer in Kooperation mit Kärcher die Spenglerarbeiten durch. Die Gesamtsanierung der Kirche hat 2001 begonnen und wird voraussichtlich bis 2023 andauern. Danach steht die Renovierung im Inneren an. Die Votivkirche ist eines von ca. 450-500 Bauprojekten in der Erzdiözese Wien, die jährlich vom erzbischöflichen Bauamt geleitet werden.

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