Klebend durch die Münchner Unterwelt

Keiner kennt die U-Bahnhöfe in München so gut wie Klaus Merkel. Und dieses Wissen bleibt auch noch eine Weile in der Familie, denn sein Sohn Alexander hat das Werbeunternehmen übernommen.

 

Klaus Merkel und sein Sohn Alexander nehmen die Rolltreppe zum Einsatzort. München, U-Bahnhof Westfriedhof. Es ist Nacht. Beide tragen Warnwesten und Werkzeuge. Hinter den Gleisen werden sie ein Werbeplakat anbringen. Ein bis zweimal pro Woche rücken die beiden nachts aus, um neue Werbeplakate anzubringen. Aus Sicherheitsgründen gibt es nur ein Zeitfenster zwischen halb zwei und vier Uhr – in dieser Zeit fahren keine Züge. Eigentlich.

Manchmal fährt auf einem anderen Gleis ein Bauzug. „Das kann so aussehen, als komme der auf einen zu. Da kann einem schon kurz das Herz in die Hose rutschen“, sagt Klaus Merkel. Aber daran gewöhne man sich schnell. Vor allem, wenn man den Job schon so lange macht wie der 78-Jährige. Von seinen alten Kollegen ist heute keiner mehr aktiv. Klaus Merkel ist der Dienstälteste im Geschäft. „Keiner kennt die U-Bahnhöfe so gut wie ich, das macht einen natürlich auch ein bisschen stolz“, sagt Merkel.


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Von der Handarbeit zum Digitaldruck

Seit über 45 Jahren ist Klaus Merkel unterwegs in der Münchner „Unterwelt“. Als gelernter Schriftenmaler begann er in den 70er-Jahren, Reklame auf große Holztafeln zu malen – echte Handarbeit mit Pinsel und Malstock. „Heute geht das nicht mehr“, sagt er. „Der Digitaldruck ist unschlagbar in Sachen Sauberkeit. Damit lassen sich fast alle Materialien bedrucken.“ Holztafeln gibt es ohnehin schon lange nicht mehr in den U-Bahnhöfen – aus Feuerschutzgründen.

Vieles hat sich verändert über die Jahrzehnte, vor allem die Materialien. Während in den 80er- und 90er-Jahren noch klassisch mit Papier und Kleister gearbeitet wurde, kommen heute überwiegend bedruckte Folien zum Einsatz. Das alte Handwerk vermisst Klaus Merkel nicht. „Die anderen Arbeiten sind auch schön. Und natürlich geht heute alles schneller.“ Bei den Entwicklungen müsse man mitgehen, sonst wird man abgehängt. Klaus Merkel gefällt es, immer noch gebraucht zu werden. „Mitdenken zu müssen. Nicht bloß irgendwo rumsitzen oder Sport treiben, sondern bei jedem Auftrag zu überlegen: Wie machen wir das? Das hält jung.“

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„Die Entscheidung ist mir nicht schwer gefallen“

So lange er gesund ist, will Klaus Merkel weitermachen. „Warum auch nicht?“ sagt er. „So kann ich meinem Sohn auch mal Freizeit gönnen.“ Alexander Merkel hat die Firma des Vaters, das Süddeutsche Werbe-Unternehmen, 2010 übernommen. „Die Entscheidung ist mir nicht schwer gefallen“, sagt er. Seine Ausbildung hat er zwar als Mediengestalter für Bild und Ton gemacht. Da er jedoch viele Jahre im Betrieb des Vaters gejobbt hat, kannte er sich schon gut aus. Dass aus der Firma nun ein Familienunternehmen geworden ist, bedeutet Alexander Merkel viel. „Ich finde es schön, dass es kein großer Betrieb ist. Das macht die Arbeitsatmosphäre sehr harmonisch.“

Alexander Merkel profitiert vom Wissen seines Vaters. Zwischen 500 und 600 Werbeflächen existieren in den Münchner U-Bahnhöfen. „Da gibt es welche aus den verschiedensten Jahrzehnten, unterschiedliche Baustoffe, Toleranzen, Formate. Viele kleine Details, die wir uns über Jahrzehnte angeeignet haben.“ Ein Wissen, das selbst bei den Stadtwerken und der Münchner Verkehrs-Gesellschaft nicht mehr vorhanden ist. „Da gibt es anscheinend auch nicht mehr für alles Unterlagen“, sagt Alexander Merkel. Vor allem bei Spezialanfertigungen sei das Know-how des Vaters wichtig. „Den einen oder anderen Auftrag hätten wir ohne ihn nicht angenommen.“

Screens und Displays sind nicht das Nonplusultra

Die Arbeit der Merkels wirkt ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Dabei hat die Digitalisierung in der Branche noch längst nicht die klassischen Großwerbeflächen verdrängt. „Man hört immer wieder, dass Werbung auf Screens und Displays die Zukunft ist. Unsere Erfahrung ist eine andere. Viele unserer Kunden wollen nicht als störende Werbung zwischen Wetterbericht und Nachrichten auftauchen“, sagt Alexander Merkel.

Zudem könnten sich kleinere Kunden wie Frisöre oder Schreibwarengeschäfte die hohen Preise der modernen Werbeformen gar nicht leisten. „Auch sogenannte Laufteile, bei denen mehrere Werbeplakate nacheinander gezeigt werden, sind nicht das Nonplusultra“, sagt Klaus Merkel. „Die wechseln vielen Firmen zu schnell. Jeder Mensch liest gerne, wenn er Zeit hat – beim Warten auf die U-Bahn oder beim Warten beim Arzt. Da lesen sie auch Werbung.“

Alexander Merkel kann sich vorstellen, seinen Beruf noch lange auszuüben. „Mir gefällt, dass es eine Mischung aus Büroarbeit und Handwerk ist. Dass man plant und organisiert, aber auch bei den Montagen dabei ist. Und dass man am Schluss ein sichtbares Ergebnis hat“, sagt er. Schon möglich, dass er irgendwann die Firma an die nächste Generation weitergibt. „Aber es ist schwer einzuschätzen, wie sich dieser Markt entwickelt. Ob die Digitalisierung alles verdrängt oder eben klassische Werbeformen doch noch ein paar Jahrzehnte überdauern.“ Das Wissen über die Münchner Unterwelt könnte Alexander Merkel dann an seine Kinder weitergeben – und sicherstellen, dass es nicht verloren geht.

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