Hygiene im Wandel der Zeit – wohin geht die Reise?

Sauberkeit und Hygiene spielen im öffentlichen Raum seit Beginn der Coronapandemie nochmals eine andere Rolle als bislang. Ob es sich um Gastronomie, Behörden, Schulen oder Büros handelt – bestimmte Vorgaben und Abläufe in der Reinigung verändern sich vor diesem Hintergrund. Das ist eine Herausforderung, die in Zukunft sicherlich eine grosse Rolle spielen wird.

Hygiene im Wandel der Zeit - Wohin geht die Reise?

Der Hygieneanspruch ist individuell

Die Lösungsansätze reichen vom standardisierten Einsatz bestimmter Methoden und der Schulung von Reinigungskräften über digitalisierte Prozesse bis hin zur Entwicklung von Hygienekonzepten, wie ein Beispiel aus Russland illustriert.

Auf das Individuum bezogen geht die Veränderung tiefer, denn jeder Mensch muss für sich entscheiden, welches Mass an Hygiene er sich quasi selbst verordnet. Wie verändern sich Wahrnehmung und Verhalten, und welche Möglichkeiten hat man, sein Wohlbefinden zu erhalten oder zu steigern? Mehr dazu im Interview mit Diplompsychologe Dr. Enno Maass, dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung.

100 Prozent Hygiene? Gibt es praktisch nur im Reinraum

100 Prozent Hygiene? Gibt es praktisch nur im Reinraum

Absolute Hygienesicherheit ist im Alltag nicht realistisch, da immer ein gewisses Übertragungsrisiko von Keimen bestehen bleibt. Generell hat eine gut durchgeführte Reinigung aber einen besseren Effekt als eine schlecht durchgeführte Desinfektion – denn es gilt, pathogenen Keimen, Bakterien, Pilzen und Viren die Lebensgrundlage oder den Wirt zu entziehen.

Der Weg des Schmutzes

Daniel Meier, Senior Director Special Sales & Consulting Services bei Kärcher, legt Wert auf die Feststellung, dass viele Bakterien erst einmal unschädlich sind. „Aktuell haben wir nur das Negative im Blick, aber unzählige Bakterien brauchen wir sogar zum Überleben.“ Geht es um die schädlichen, pathogenen Keime, so besteht die Herausforderung darin, Ansteckungsrisiken nach Möglichkeit zu minimieren. „In der Gebäudereinigung und bei der Reinigung im öffentlichen Raum ist die Frage nach dem Wo entscheidend: Wo ist der Schmutz, wo kommen Menschen mit Schmutz in Kontakt, und wie sehen die Übertragungswege potenziell pathogener Keime aus?“

… und ein Set an Möglichkeiten…

Davon abhängig gilt es, aus vielfältigen Optionen die jeweils passenden Reinigungsmethoden und -geräte anzuwenden. Bei der Oberflächenreinigung empfiehlt sich zum Beispiel der Einsatz der Tuchfaltmethode. „Das bedeutet, dass für jede Oberfläche eine neue Seite eines Reinigungstuchs verwendet wird – sind alle benutzt, wechselt man das Tuch aus.“ Auf diese Weise entfernt man Keime und verschleppt sie nicht von Oberfläche zu Oberfläche. Mit Blick auf Erreger, die durch Kontaktflächen übertragen werden, ist so ein hohes Mass an Sauberkeit, Hygiene und Sicherheit zu erreichen. „Abgetötet werden Erreger übrigens nicht durch die Reinigung, sondern erst in der Wäscherei, wo Temperatur, Chemie und Mechanik optimal zusammenspielen.“ Der Einsatz von Desinfektionsmitteln kann so auf kritische Bereiche in einem Objekt reduziert werden.

In vielen Bereichen kann die manuelle Reinigung durch moderne Reinigungstechnik unterstützt werden. Es gibt verschiedenste Methoden, die man – je nach Räumlichkeit – so kombinieren kann, dass das bestmögliche Ergebnis erzielt wird. In Bereichen wie Sanitäranlagen oder Grossküchen hat sich mittlerweile die Anwendung von Dampfreinigern etabliert. Heisswasser-Hochdruckreiniger können auf Kinderspielplätzen bei korrekter Anwendung sogar desinfizierende Wirkung haben.

Die Gesellschaft ändert sich

Ob Einzelhandel, Gastronomie oder Kommune – alle Betreiber von öffentlich zugänglichen Räumen müssen mit dem gestiegenen Hygienebewusstsein in der Gesellschaft umgehen. Nicht nur, um Vorschriften zu erfüllen, sondern auch, um die Menschen mit einem Gefühl der Sicherheit wieder in den Alltag zu holen. Eine gute und sichtbare Dokumentation der Reinigungs- und Hygienemassnahmen im öffentlichen Raum kann helfen, das Vertrauen zu stärken. Gleichzeitig kann der gestiegene Bedarf an Hygienesicherheit den Weg ebnen zu mehr Sichtbarkeit und Wertschätzung für Reinigungsdienstleistungen.

Wie ein Hygienekonzept entsteht

Um das Sauberkeits- und Hygienelevel an Standorten zu verbessern, lohnt eine Analyse von Reinigungsmethoden und -techniken. Ein solches Projekt hat Kärcher für das Bildungsministerium in Jekaterinburg (Russland) betreut und in mehreren Beratungsschritten vor Ort ein Sauberkeits- und Hygienekonzept entwickelt. Beginnend bei einer Schule und einem Kindergarten wurden im Frühjahr 2020 Verbesserungsvorschläge erarbeitet, die künftig in allen Schulen und Kindergärten im Regierungsbezirk umgesetzt werden sollen.

Jens Kuhn, Reinigungs- und Hygieneexperte Cleaning Consulting Services bei Kärcher, erklärt: „Wenn man die Reinigungsabläufe optimiert und das Personal entsprechend schult, dann verbessert sich das Reinigungsergebnis automatisch. Die Folgen: weniger Schmutz, weniger Keime und damit weniger gesundheitliche Risiken.“ Zum Set an standardisierten Massnahmen gehört die Farbcodierung von Reinigungstextilien für bestimmte Anwendungsgebiete, das sogenannte Vier Farb-System. Die Vermischung und Verschleppung von Keimen wird dadurch vermieden, dass zum Beispiel rote Tücher nur für Sanitäranlagen verwendet werden, blaue hingegen für Klassenzimmer und Büros. In der Bodenreinigung wird umgestellt auf ein Wischbezug Wechselsystem – also ein Wischbezug pro Raum –, mit anschliessender Wäschereinigung in der Waschmaschine.

„Damit die neuen Methoden für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut verständlich sind, arbeiten wir mit verschiedenen Möglichkeiten zur Dokumentation, wie Methodenkarten und Videos. Auf Hygieneplänen zeigen wir kritische Punkte für die Hygienesicherheit, die im Detail dargestellt werden“, erläutert Kuhn. So erkennt die Reinigungskraft auf einen Blick, wo der grösste Fokus liegt, und der Gebäudenutzer kann nachvollziehen, wie gereinigt wird. Mit dem noch ausstehenden Roll-out der vorgeschlagenen Massnahmen erhöhen sich im Übrigen nicht nur die Sauberkeit und das Hygienelevel – zusätzlich sorgen die standardisierten Abläufe für eine Zeitersparnis von 30 Prozent.

Abstrakte Illustration zum Thema Hygiene

Die Reinigungswelt ändert sich

„Die klarste Veränderung haben wir durch neue Reinigungsbedarfe“, erklärt Meier. „Es wurden viele Schutzmassnahmen etabliert, beispielsweise der Spuckschutz an Kassen und Schaltern oder Trennwände in Restaurants. Diese Aspekte darf man bei der Reinigung nicht vergessen.“ Es ist also wichtig, bestehende Reinigungskonzepte an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Zusätzlich verringern gute Lüftungskonzepte sowie Luftreiniger das Risiko einer Übertragung von Krankheitserregern über Aerosole.

Vom Arbeitnehmer über den Arbeitsraumnutzer bis zum Besucher oder Gast: Menschen verlangen zunehmend nach einem Nachweis, dass Hygienemassnahmen nach aktuellem Stand durchgeführt werden. Um dieser neuen Anforderung gerecht zu werden, lassen sich immer mehr Betreiber grosser Gebäude ihre Hygienekonzepte zertifizieren. „Das ist übrigens auch für Arbeitgeber sehr relevant“, stellt Meier fest. „Hygienethemen rücken für die Positionierung und die Gewinnung von Mitarbeitern in den Fokus, weil Bewerber Sicherheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz voraussetzen. So erhalten Reinigungsdienstleistungen einen neuen Stellenwert.“

Neuer Fokus auf digitalisierte Lösungen

Wer die Durchführung von Hygienemassnahmen transparent nachweisen möchte, kommt um das Thema Digitalisierung nicht herum. Über moderne Systeme lässt sich steuern und dokumentieren, wann wo gereinigt wird – wobei Daten zur Frequentierung bestimmter Räume, Füllstände von Seifenspendern und andere Aspekte genutzt werden können. „Bislang ging es bei Cleaning-on-Demand-Lösungen (bedarfsgerechte Reinigung) um die Erhöhung der Produktivität und die Reduzierung überflüssiger Wege“, erklärt Meier. „Nun rückt das Thema Qualitätssicherung als neuer Treiber in den Mittelpunkt.“

Um in dieser neuen Realität bestehen zu können, müssen Reinigungskräfte so ausgestattet werden, dass Gesundheit und Sicherheit bei der Durchführung ihrer Arbeit gewährleistet sind. Auch müssen sie in einem Umfeld mit viel Wechsel in der Belegschaft an das Know-how gelangen können, um Hygienekonzepte adäquat umzusetzen. „Wir sehen, dass Schulungen, Beratungsdienstleistungen und die visuelle Aufbereitung von standardisierten Reinigungskonzepten für bestimmte Räume stark an Bedeutung gewinnen“, so Meier. „Denn bei aller Technik ist es letztlich der Mensch, der seine Arbeit gewissenhaft erledigt, dem wir unsere Gesundheit und Sicherheit zu verdanken haben.“

Abstrakte Illustration mit Obstkiste

Im Gespräch mit Dipl.-Psych. Dr. Enno Maass

Vom Händewaschen zum Disput an der Obstkiste

Wie hat sich die Wahrnehmung der Menschen in puncto Hygiene durch die Pandemie geändert?

Aus meiner Erfahrung heraus bewegt sich diese Veränderung in Phasen, je nach Kenntnisstand zur Pandemie. Zu Beginn war Handhygiene ein grosses Thema, alle haben die 20 Sekunden beim Händewaschen akribisch eingehalten und Desinfektionsmittel verwendet. Damals wusste man nicht, dass die Schmierinfektion eine eher untergeordnete Rolle spielt. Inzwischen findet Handhygiene meines Erachtens wieder mehr auf einem normalen Level statt. Was wir aber sehen ist, dass der Fokus generell stärker auf „gefühlten“ bzw. subjektiven Hygieneaspekten im Alltag liegt, denn Menschen handeln nicht nur nach rationalen Mechanismen.

Welche Verhaltensweisen sind dadurch im Wandel begriffen, wie nachhaltig sind diese Veränderungen Ihrer Erfahrung nach?

Ich denke, da weitet sich der Fokus auf die Frage, wie wir mit Nähe umgehen. Der Wohlfühlabstand ist vermutlich grösser geworden, sodass uns Dinge wie die Terminvergabe auf Ämtern oder Einkaufskonzepte, die Abstandsempfehlungen Rechnung tragen, erhalten bleiben könnten. Das gilt natürlich nicht für die Obstkiste im Supermarkt, an der sichtbar wird, dass Hygiene zum Reizthema geworden ist: Darf man den Apfel nehmen und wieder in die Kiste legen? Darüber entbrennt mancherorts schon ein Streit.

Welche Ratschläge gibt es, das eigene Wohlbefinden zu erhalten – zwischen Ignoranz und Hysterie?

Wir beobachten, dass sich das Stresslevel deutlich erhöht hat und viele Menschen mit der derzeitigen Situation überfordert sind. Bildlich gesprochen hat nicht mehr jeder Mensch die Energie, sich in Gelassenheit an der Obstkiste zu üben. Wer sich bereit fühlt, sollte sich in Öffnungsphasen nach eigener Risikoabwägung altbekannte Freiheiten und Aktivitäten wieder in den Alltag holen. Nicht mit Vollgas, sondern Stück für Stück. So erarbeitet man sich das Leben, den Spass und die Entspannung zurück, was die Gesamtkonstitution definitiv verbessert.


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